Die enormen Fortschritte, die in den vergangenen Jahren in den experimentellen Biowissenschaften gemacht wurden, liefern eine Fülle von Daten darüber, wie Organismen funktionieren. Um aus diesen Daten biomedizinische Kenntnisse zu erlangen, sind sowohl mathematische Modellierungen als auch Techniken der numerischen Analysis in Verbindung mit experimentellen Daten von wesentlicher Bedeutung. Bei einem gemeinsamen Symposium der Exzellenzcluster Hausdorff Center for Mathematics und ImmunoSensation2 sowie der Transdisziplinären Forschungsbereiche „Modelling“ und „Life and Health“ der Uni Bonn stellten die an den Schnittstellen arbeitenden Professoren und ihre Kolleg:innen jetzt ihre Forschung vor und luden zum Mitmachen ein.
Mathematische Modellierung und Lebenswissenschaften – um beide Welten optimal miteinander zu verbinden, beschlossen die Exzellenzcluster ImmunoSensation2 und das Hausdorff Center for Mathematics (HCM) der Universität Bonn bereits vor einigen Jahren, gemeinsam drei international sichtbare Nachwuchsforschungsgruppen einzurichten – sogenannte Interdisciplinary Research Units (IRUs).
Dieses Vorhaben hat in diesem Jahr deutlich an Fahrt aufgenommen, denn die drei Professuren sind seit April komplett besetzt. Zu Prof. Dr. Jan Hasenauer, der seine Arbeitsgruppe „Computational Biology“ bereits seit einiger Zeit aufbaut, sind noch Prof. Dr. Kevin Thurley („Systems Biology of Inflammation“) und Prof. Dr. Alexander Effland („Biomedical Image Processing“) hinzugestoßen. Alle drei sind auch Mitglieder der Transdisziplinären Forschungsbereiche (TRA) „Mathematik, Modellierung und Simulation komplexer Systeme“ und „Leben und Gesundheit“ der Universität Bonn, in denen die enge Verbindung der beiden Forschungsgebiete ebenfalls eine große Rolle spielt.
„Ich glaube fest daran, dass die Verknüpfung von Biomathematik und Methoden der Modellierung mit verschiedenen Bereichen der Biowissenschaften die Forschung im 21. Jahrhundert prägen wird“, sagt Prof. Dr. Waldemar Kolanus, Sprecher des Exzellenzclusters ImmunoSensation2 und des Transdisziplinären Forschungsbereichs „Leben und Gesundheit“. „Man kann deutlich beobachten, dass die Biowissenschaften zu einer Inspiration für die Mathematik werden und umgekehrt – vielleicht genauso, wie es im 20. Jahrhundert für die Physik und die Mathematik der Fall war. Es liegt ein wirklich interessanter neuer Weg vor uns. Dies ist erst der Anfang.“
Ziel des am 30. August erstmalig ausgetragenen Symposiums „Interdisciplinary Research in Mathematics and Life Sciences“ war es, einen Überblick über die Bonner Forschung zu geben, Netzwerke zu fördern und neue Kooperationen anzustoßen. Den thematischen Kern bildeten die Forschungsbereiche der drei IRUs. Unter den Teilnehmenden waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn sowie kooperierender Einrichtungen. Das Symposium fand im Hörsaal statt und wurde online übertragen.
Drei interdisziplinäre Forschergruppen
Die Forschung von Jan Hasenauer konzentriert sich auf die Entwicklung von Methoden, mit denen sich biologische Prozesse datengetrieben modellieren lassen. Diese Methoden ermöglichen es, verschiedene Datensätze zu integrieren, die verfügbaren Informationen kritisch zu evaluieren, verschiedene biologische Hypothesen miteinander zu vergleichen und zukünftige Experimente maßgeschneidert auszuwählen. In einem Projekt der TRA „Leben und Gesundheit“ arbeitet er zum Beispiel mit Kollegen daran, die zelluläre Organisation in menschlichen Hals-Lymphknoten zu entschlüsseln. Seine Arbeitsgruppe verwendet mathematische Modelle und rechnergestützte Methoden der Künstlichen Intelligenz, um Eigenschaften biologischer Systeme zu rekonstruieren, die experimentell nicht zugänglich sind. Ganz nach Philosophie von Galileo Galilei: „Messe, was messbar ist, und mache messbar, was nicht gemessen werden kann.“ Die Forschergruppe ist am LIMES-Institut angeordnet.
Kevin Thurley verknüpft Methoden der mathematischen Modellierung mit statistischer Datenanalyse und konnte so bereits zu neuen Erkenntnissen in der Biologie beitragen, zum Beispiel im Hinblick auf biologische Uhren, sogenannte stochastische intrazelluläre Signale und die Regulation der Zellbeweglichkeit. Ein Schwerpunkt seiner neuen Arbeitsgruppe in Bonn ist die Analyse von Netzwerken der Zell-Zell-Kommunikation im Immunsystem. Dafür entwickelt seine Gruppe sowohl räumliche Modelle in der Form von Reaktions-Diffusionssystemen als auch komplexe Netzwerkmodelle, mit denen direkt messbare Zustandsänderungen der Zellen erfasst werden können. Die Forschungsgruppe "Biomathematik-Systembiologie der Entzündung" ist am Institut für Experimentelle Onkologie des Uniklinikum Bonn angesiedelt.
Alexander Effland ist im April als Professor für das Fach Biomathematik ernannt worden. Er und seine Arbeitsgruppe beschäftigen sich mit der mathematischen Bildverarbeitung, der Analyse von Verformungen von zwei- und dreidimensionalen Objekten sowie den mathematischen Grundlagen des maschinellen Lernens. Das Ziel ist die Entwicklung von stabilen und effizienten Algorithmen in der Bildverarbeitung, die in der biomedizinischen Forschung angewendet werden können. Beispielsweise arbeitet er in einem aktuellen Projekt in Zusammenarbeit mit der Klinik für Neuroradiologie am UKB an der automatisierten Klassifikation von Hirnblutungen mittels künstlicher Intelligenz. Seine Professur ist am Institut für Angewandte Mathematik angesiedelt.