Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter Federführung der Universität Bonn hat einen neuartigen Nanomotor entwickelt. Er wird durch einen cleveren Mechanismus angetrieben und vollführt dabei pulsierende Bewegungen. Die Forscher planen nun, ihn mit einer Kupplung zu versehen und in komplexere Maschinen als Antrieb einzubauen. Ihre Ergebnisse sind nun in der Zeitschrift Nature Nanotechnology erschienen.
Der neuartige Motor ähnelt einem jener Handmuskeltrainer, die bei regelmäßiger Nutzung für einen festeren Griff sorgen sollen. Allerdings ist er rund eine Million Mal kleiner. Zwei Griffstücke sind in ihm durch eine Federkonstruktion zu einer V-förmigen Struktur verbunden.
Bei einem Handtrainer drückt man die Griffe gegen den Widerstand der Feder zusammen. Öffnet man danach die Hand wieder, entspannt sich die Feder und kehrt die Bewegung um. „Bei unserem Motor ist das im Prinzip ganz ähnlich“, erklärt Prof. Dr. Michael Famulok vom Life and Medical Sciences (LIMES) Institut der Universität Bonn. „Allerdings werden die Griffe nicht zusammengedrückt, sondern aufeinander zu gezogen.“
Dazu haben die Forscher einen Mechanismus zweckentfremdet, ohne den es weder Pflanzen noch Tiere geben würde. Jede Zelle verfügt über eine Art Bibliothek. Sie enthält die Bauanleitungen sämtlicher Proteine, die die Zelle für ihre Funktion benötigt. Will die Zelle ein bestimmtes Protein produzieren, bestellt sie eine Abschrift der entsprechenden Bauanleitung. Dieses Transkript wird von sogenannten RNA-Polymerasen hergestellt.
RNA-Polymerase treibt pulsierende Bewegung an
Die Original-Bauanleitungen bestehen aus langen DNA-Fäden. Die RNA-Polymerasen wandern an diesen Fäden entlang und kopieren dabei Buchstabe für Buchstabe die gespeicherte Information. „Wir haben nun eine RNA-Polymerase genommen und an eines der Griffstücke unserer Nano-Maschine geklebt“, erklärt Famulok, der auch Mitglied in den Transdisziplinären Forschungsbereichen „Life & Health“ und „Matter“ der Universität Bonn ist. „In direkter Nähe haben wir zudem zwischen den Griffen einen DNA-Faden gespannt. Die Polymerase greift sich diesen Faden, um ihn zu kopieren. Dabei zieht sie ihn an sich entlang. Der noch nicht abgeschriebene Teil wird so immer kürzer. Dadurch bewegt sich der zweite Griff immer stärker auf den ersten zu. Gleichzeitig spannt sich die Feder.“
Kurz vor seinem Ende enthält der DNA-Faden zwischen den Griffen eine bestimmte Buchstabenfolge. Diese sogenannte Terminations-Sequenz bewirkt, dass die Polymerase die DNA loslässt. Die Feder kann sich nun wieder entspannen und zieht die Griffe auseinander. Dabei kommt die Start-Sequenz des Fadens in der Nähe der Polymerase zu liegen, und der molekulare Kopierer beginnt eine neue Abschrift: Der Zyklus wiederholt sich. „Dadurch vollführt unser Nano-Motor eine pulsierende Bewegung“, erklärt Mathias Centola aus der Arbeitsgruppe von Prof. Famulok, der einen großen Teil der Experimente durchgeführt hat.
Buchstabensuppe dient als Kraftstoff
Wie jeder andere Motor benötigt auch dieser Energie. Sie stammt aus der „Buchstabensuppe“, aus der die Polymerase die Transkripte herstellt. Jeder dieser Buchstaben (fachsprachlich: Nukleotide) trägt einen kleinen Schwanz aus drei sogenannten Phosphatgruppen, ein Triphosphat. Um einen neuen Buchstaben an einen entstehenden Satz hängen zu können, muss die Polymerase zwei dieser Phosphatgruppen entfernen. Dabei wird Energie frei, die sie für die Verknüpfung des Buchstabens nutzt. „Unser Motor verbraucht also Nukleotid-Triphosphate“, sagt Famulok. „Er läuft nur solange weiter, wie genügend von ihnen vorhanden sind.“
Kooperationspartner aus dem US-Bundesstaat Michigan konnten durch Beobachtung einzelner Nano-Motoren zeigen, dass diese tatsächlich die erwartete Bewegung durchführen. Eine Arbeitsgruppe aus Arizona simulierte den Prozess zudem auf Hochgeschwindigkeits-Rechnern. Die Erkenntnisse können beispielsweise dazu beitragen, den Motor gezielt auf eine bestimmte Pulsations-Rate hin zu optimieren.
Die Forschenden konnten außerdem zeigen, dass sich der Motor problemlos mit anderen Strukturen koppeln lässt. Auf diese Weise sollte es zum Beispiel möglich sein, ihn auf einer Unterlage wandern zu lassen - ähnlich wie eine Spannerraupe, die sich in ihrem ganz charakteristischen Stil über einen Ast schiebt. „Wir planen zudem, eine Art Kupplung herzustellen, so dass wir die Motorkraft nur zu bestimmten Zeiten nutzen und ihn ansonsten gezielt im Leerlauf halten können“, erklärt Famulok. Langfristig könnte er so zum Herzstück einer komplexen Nanomaschine werden. „Bis dahin ist aber noch viel Arbeit zu leisten.“
Förderung:
An der Studie waren neben der Universität Bonn die Max-Planck-Institute für Neurobiologie des Verhaltens (Bonn) und für Biophysik (Frankfurt) sowie die University of Michigan (USA) und die Arizona State University (USA) beteiligt. Die Forschungsarbeiten wurden durch die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Max-Planck-Gesellschaft, die Universität Bonn, die US-amerikanische National Science Foundation (NSF), das European Research Council (ERC) und die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) finanziell gefördert.
Publikation:
Mathias Centola, Erik Poppleton, Sujay Ray, Martin Centola, Robb Welty, Julián Valero, Nils G. Walter, Petr Šulc & Michael Famulok: A rhythmically pulsing leaf-spring DNA-origami nanoengine that drives a passive follower; Nature Nanotechnology; DOI: 10.1038/s41565-023-01516-x, https://www.nature.com/articles/s41565-023-01516-x
Kontakt:
Prof. Dr. Michael Famulok
LIMES-Institut der Universität Bonn
Tel. 0228/73-1787
E-Mail: m.famulok@uni-bonn.de