Damit das Gehirn leistungsfähig arbeitet, müssen Nervenimpulse möglichst schnell und präzise an ihr Ziel gelangen. Eifrig im Einsatz sind dabei die Nervenbahnen, auch als Axone bezeichnet, die die Impulse weiterleiten. Eine isolierende Hülle um die Axone erhöht ihre Leitungsgeschwindigkeit. Diese isolierende Hülle, Myelin genannt, wird von einem Hauptbestandteil des Gehirns gebildet – den Gliazellen. Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) haben jetzt in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität Bonn herausgefunden, dass Gliazellen nicht nur die Geschwindigkeit der Nervenleitung kontrollieren, sondern auch einen Einfluss auf die Genauigkeit der Signalleitung haben. Ohne Myelin kommt es zu kurzschlussartigen Vorgängen. Die Studie ist in „Nature Communications“ erschienen.
Gliazellen sind nicht nur für die Energielieferung unentbehrlich, sondern haben auch viele weitere Aufgaben im Gehirn: Sie übernehmen den Stofftransport, regulieren den Flüssigkeitsaustausch und sorgen für die Aufrechterhaltung der Homöostase. Um die Bedeutung von Gliazellen besser zu verstehen, untersuchten die Forscher, wie Taufliegen (Drosophila melanogaster) ihr Verhalten änderten, nachdem einzelne Neuronen mithilfe von Licht aktiviert worden waren.
„Zusätzlich zu einer durch Licht vermittelten neuronalen Aktivierung haben wir einzelne Gliazellen entweder aus dem Nervensystem entfernt oder ihre Entwicklung spezifisch gestört“, erläutert Studienleiter Prof. Dr. Christian Klämbt vom Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie der WWU. Auf diese Weise stellten die Wissenschaftler fest, dass Gliazellen das sogenannte radiale Wachstum der Axone kontrollieren.
Analyse der Bewegungsmuster von Taufliegen
Um die Leitungsfähigkeit der Axone zu ermitteln, führte Dr. Andreas Schoofs aus der Forschergruppe von Prof. Dr. Michael Pankratz vom LIMES-Institut der Universität Bonn elektrophysiologische Messungen durch. Das Ergebnis: Wie erwartet haben kleinere Axone eine geringere Leitungsgeschwindigkeit. Erstaunlicherweise zeigte sich, dass eine geringere Leitungsgeschwindigkeit nur geringfügig dazu führt, dass sich das Bewegungsverhalten ändert. Der wichtigere Beitrag der Gliazellen ist demnach die Bildung von Membranfortsätzen zwischen einzelnen Axonen – dadurch werden elektrische Kopplungen (also Kurzschlüsse) verhindert und die Bewegungssteuerung präzisiert.
Die Analyse der verschiedenen Bewegungsmuster führten die Wissenschaftler mit einem eigens entwickelten Gerät durch: Der sogenannte FIM-Aufbau (Frustrated total internal reflection-based Imaging Method) erlaubte es ihnen, mit einer speziellen Software die Bewegungen von kleinsten Organismen hochauflösend darzustellen und zu analysieren.
„Durch unsere Forschung wird die Rolle der Gliazellen als aktive Komponente des Nervensystems deutlich. Mit den neuen Erkenntnissen schaffen wir auch eine Grundlage für ein besseres Verständnis von einigen Symptomen bei Erkrankungen des Nervensystems“, betont Christian Klämbt. Dazu gehören zum Beispiel die Multiple Sklerose und Morbus Charcot-Marie-Tooth.
Die Arbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Publikation: Kottmeier, R., Bittern, J., Schoofs, A., Scheiwe, F., Matzat, T., Pankratz, M., Klämbt, C. (2020): Wrapping glia regulates neuronal signaling speed and precision in the peripheral nervous system of Drosophila. Nature Communications; doi.org/10.1038/s41467-020-18291-1