Interview mit neuer AG-Leiterin am LIMES-Institut: Dr. Elvira Mass

Dr. Elvira Mass ist seit Oktober 2017 neue Gruppenleiterin am LIMES-Institut. Hier ist sie allerdings keine Unbekannte. Nach Ihrem Biologiestudium in Bonn promovierte sie 2013 in der Arbeitsgruppe von Michael Hoch am LIMES-Institut im Fachbereich Molekulare Biomedizin und arbeitete dort noch bis 2014 als Postdoc. Nach einem 7-monatigen Aufenthalt im King’s College London führte sie ihr Weg dann 2015 ans Memorial Sloan Kettering Cancer Center, Division of Immunology, nach New York, USA. Nun hat sie eine eigene Arbeitsgruppe hier am LIMES-Institut, die sich mit der Entwicklungsbiologie des angeborenen Immunsystems beschäftigt.

Dr. Elvira Mass möchte am LIMES-Institut die Differenzierungsprozesse und homöostatischen Funktionen von Gewebsmakrophagen erforschen und damit eine Grundlage schaffen, um die Pathophysiologie von Krankheiten zu ergründen und zu verstehen.

Frau Dr. Mass, was ist Ihr Arbeitsgebiet und welche Entwicklung haben Sie thematisch in den letzten Jahren genommen?

Nach meiner extrem breitgefächerten Ausbildung als Entwicklungsbiologin - von Drosophila zu Maus als Modellorganismus, thematisch von Tracheenentwicklung zu Herzentwicklung und ER-Stress - hatte ich das Gefühl, dass ich eine neue thematische Herausforderung brauche. Aufgrund der Richtung, die mein eigenes Projekt in den letzten Monaten meiner Zeit als Doktorandin nahm, und der Forschung, die am LIMES betrieben wurde, habe ich in die Immunologie “hineinschnüffeln” können. Nach wenigen Recherchen wurde mir schnell klar, dass dieses Arbeitsgebiet auch in der Zukunft noch viel Potential bietet. Mein neues Thema sollte also die Immunologie werden, am liebsten etwas, wo ich mein bisheriges Wissen gut anwenden konnte. Aber wohin sollte die Reise gehen?
Joachim Schultze gab mir eine Liste von Laboren, die sowohl thematisch als auch vom Standort zu meinen Vorstellungen passten, und ich entschied mich schließlich für Frederic Geissmann’s Labor. Frederic war zu dem Zeitpunkt schon recht bekannt und hatte erst in 2012 ein Paper veröffentlicht, was das Makrophagen-Feld vollkommen verändern sollte. Kurz nach meiner Ankunft in London kam ein weiteres Paper heraus, welches zeigte, dass frühe embryonale Vorgänger aus dem Dottersack zu residenten Makrophagen differenzieren können, die im adulten Tier verbleiben. Dass sich Makrophagen gänzlich unabhängig vom Knochenmark entwickeln, war zu dem Zeitpunkt nicht gern gesehen, da viele Labore ihr ganze Forschung darauf aufbauten, Makrophagen aus dem Knochenmark oder aus Blutmonozyten zu differenzieren.
Viele Gruppen haben seitdem jedoch ähnliche Befunde veröffentlicht und nun ist es weitgehend akzeptiert, dass die meisten gewebespezifischen Makrophagen embryonalen Ursprungs sind. Diese Erkenntnisse haben nicht nur für die homöostatischen Funktionen von Makrophagen während der Entwicklung gravierende Implikationen, sondern auch für die (aktive) Rolle von Makrophagen in der Entstehung von Krankheiten.
In meinem ersten Projekt konnte ich zeigen, dass die Spezifizierung von Makrophagen sehr früh in den Organen passiert und dieser Differenzierungspro-zess deshalb ein integraler Teil von Organogenese ist. Aufbauend auf dieses Wissen habe ich ein Mausmodell generiert, bei dem Mikroglia, die Makrophagen im Gehirn, kausal für Neurodegeneration verantwortlich sind, wenn sie mutiert sind. Mit meiner Arbeitsgruppe im LIMES möchte ich weiterhin die Differenzierungsprozesse und homöostatischen Funktionen von Gewebsmakrophagen erforschen und damit eine Grundlage schaffen um die Pathophysiologie von Krankheiten zu ergründen und zu verstehen.

Was fasziniert Sie an der Forschung im Allgemeinen und an Ihrem Arbeitsgebiet im Besonderen?

Allgemein gefällt mir die inhaltliche und zeitliche Flexibilität, und dass es immer etwas Neues zu entdecken gibt. Das besondere an meinem Arbeitsgebiet ist die Interdisziplinarität zwischen Entwicklungsbiologie und Immunologie. Neue Technologien wie single-cell-sequencing oder -barcoding eröffnen mir die Möglichkeit, mich mit vielen neuen unerforschten Gebieten zu beschäftigen.

Wie sind Sie wissenschaftlich vernetzt? Funktioniert Forschung heutzutage überhaupt noch ohne Vernetzung?

Ich bin aktiv dabei, mir mein eigenes wissenschaftliches Netzwerk, nun auch besonders in Deutschland und Europa, aufzubauen. Da ich ja noch gar nicht so lange im Immunologie-Feld bin, muss ich da noch viel aufholen. Denn ohne Vernetzung geht heute gar nichts mehr. In meinen Publikationen wird das auch ersichtlich, es sind immer Teams aus den USA und Europa dabei. Es kostet heutzutage viel zu viel Zeit, neue Methoden selber aufzusetzen, da sie immer aufwändiger werden. Da ist man gut beraten sich einen Experten auf dem Feld zur Seite zu holen.  

Sie haben 2014 am Austausch mit der Waseda-Universität Tokyo teilgenommen. Was sind Ihre Erinnerungen an die Zeit dort?

Die Tokyo-Bonn Verbindung empfand ich schon immer als extrem fruchtbar. Dieser internationale Austausch brachte uns nicht nur wissenschaftlich zusammen, sondern auch kulturell. Japaner sind nun mal ganz anders als wir Europäer, und mit Ihnen Sushi essen zu gehen, Karaoke zu singen, oder eines ihrer zahlreichen Trinkspiele zu spielen war immer ein Abenteuer. Wir haben sogar einmal einen traditionellen Fischertanz gelernt. Ich kann nur jedem empfehlen, sich bei dieser Kooperation einzubringen!

Was ist Ihrer Meinung nach das „Rezept“, um in Ihrem Bereich erfolgreich zu sein? 

Als Tipp kann ich geben, dass man selbstsicher durchs Leben gehen muss und sich nicht scheuen darf, sich zu fragen, was man selbst will. Sehr wichtig ist auch das Networking, ganz besonders unter Frauen. Diese tendieren nämlich dazu, sich gegenseitig eher im Weg zu stehen, weil sie in anderen Frauen Konkurrentinnen sehen.

Denken Sie, dass eine Frau es hier schwerer hat als ein Mann?

Ja, eine Frau hat es deutlich schwerer als ein Mann. Man wird sehr oft wissenschaftlich unterschätzt, auf das Kinderkriegen oder Mutterdasein reduziert und muss für den gleichen Job doppelt so viele Paper publiziert oder Grants eingeworben haben. Ich habe nun schon häufig zu hören bekommen, dass sich die Männer meiner Generation als Opfer der Frauenquoten sehen. Das empfinde ich nicht so, denn ich persönlich würde auch den besseren Mann einstellen anstatt der ‚Quotenfrau’. Aber diese Diskussion würde wahrscheinlich Seiten füllen können…

Haben Sie für sich eine gute Work-Life-Balance gefunden oder haben Sie den Eindruck, dass Ihr Erfolg zulasten des Privatlebens geht?

In meiner Postdoc Zeit bestand mein Leben hauptsächlich aus Arbeit, aber nur, weil es meine persönliche Entscheidung war. Ich liebe meine Arbeit und es hat mir nichts ausgemacht, lange in den Abend hinein und an Wochenenden zu arbeiten. Nichtsdestotrotz habe ich auch die vielen Museen, Opern und Musicals in London und New York besucht! Der Vorteil, seinen Postdoc in solchen Städten zu machen, ist, dass alle Freunde und Verwandten unbedingt zu dir kommen wollen, sodass ich nicht oft nach Europa fliegen musste.

Was tun Sie in Ihrer Freizeit? Bei was können Sie entspannen?

Viel Bewegung und Sport. Aber zum absoluten Abschalten von Beruflichem und Privatem spiele ich Schach. Das gibt dem Kopf gar keine Zeit mehr, sich mit den alltäglichen Dingen zu beschäftigen.

Sie sind nun nach einiger Zeit im Ausland ans LIMES-Institut zurückgekehrt. Fühlen Sie sich ein wenig, als wenn Sie „nach Hause“ gekommen wären?

Ja, es fühlt sich schon wie ein Stück zu Hause an. Ich wurde auch unglaublich herzlich aufgenommen und von allen Seiten unterstützt. Als Großstadt-Hasserin waren dann auch weder London noch New York die besten Destinationen für mich; deshalb fühle ich mich auch generell in Bonn als Stadt sehr wohl.

Kontakt:

Dr. Elvira Mass
emass@uni-bonn.de
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